Leth Schmidt: „Die SP hat seit jeher eine wichtige Rolle in Nordschleswig

Die Schleswigsche Partei wird am 15. August 100 Jahre alt. Der Nordschleswiger bringt in den kommenden Monaten eine Reihe von Artikeln über die Partei der deutschen Minderheit in Nordschleswig. Im ersten Artikel der Serie haben wir mit dem Vorsitzenden der SP, Carsten Leth Schmidt, über Geschichte und Zukunft gesprochen.

Die Schleswigsche Partei, die politische Vertretung der deutschen Minderheit in Nordschleswig, wird am 15. August 100 Jahre alt. Eigentlich ein guter Grund zum Feiern. Ein Jubiläumsempfang war auch schon geplant, doch aufgrund des Coronavirus wird dieser samt Eröffnung einer Sonderausstellung später nachgeholt.

Der Parteivorsitzende Carsten Leth Schmidt macht sich dennoch Gedanken über die Geschichte der SP und über die Zukunft der Minderheiten-Partei, die zunehmend auch eine Regionalpartei für alle Nordschleswiger geworden ist.

Wie geht es der 100-Jährigen?

Gut, die Schleswigsche Partei ist dabei, sich neu zu erfinden. Dabei ist es deutlich, dass wir uns in der Grenzlandgeschichte immer noch in einem Entwicklungsprozess befinden, und dass nach der Wiedervereinigung 1920 immer noch einiges im deutsch-dänischen Verhältnis verdaut werden muss. Dabei haben wir die ersten Zeichen gesetzt, nämlich dass die Schleswigsche Partei für die umgebende dänische Gesellschaft wählbar geworden ist. Vor allem in Sonderburg, aber wir wollen auch anderswo eine Partei für alle sein – mit dem Schwerpunkt Minderheit.

Was sind für dich die Höhepunkte der Partei-Geschichte?

Ein Höhepunkt ist natürlich, dass es 1920 überhaupt geglückt ist ,die Minderheit in einem Wählerverband zu sammeln, weil die Minderheit sich nicht assimilieren lassen wollte.

Auch die Zeit nach der NS-Periode und dem Zweiten Weltkrieg war ein wichtiger Meilenstein. Es war eine extrem schwierige Zeit. Nach der Finanzkrise und dem Krieg war all das, was viele Deutsch-Nordschleswiger aufgebaut hatten, verschwunden, darunter große Vermögen. Außerdem war es schwierig, in dieser Zeit Deutsch zu sein.

Den Neuanfang machte die Loyalitätserklärung der Minderheit dem dänischen Staat und dem Königshaus gegenüber. Das war auch ein Neubeginn für den Bund Deutscher Nordschleswiger und der Schleswigschen Partei. Dadurch wurde der Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung immer friedlicher und konstruktiver.

Wir haben heute keine Vorbehalte, uns in die gesellschaftlichen Themen in Dänemark zu involvieren, wobei es immer noch Spannungen gibt, zum Beispiel wenn wir zweisprachige Ortsschilder diskutieren.

Die Spitzenteams der Schleswigschen Partei bei der Kommunal- und Regionalwahl 2017. Foto: Karin Riggelsen

Und welche Tiefen hat die SP erlebt?

Ich finde, es gibt immer wieder ein Erwachen. Zum Beispiel, als wir 2005 den Boden erreichten und danach Wahl für Wahl wieder zulegten. Bis dann 2017 erneut die Ernüchterung eintraf.

Die Wahl damals hat deutlich gezeigt, dass es noch lange nicht ausreicht, nur weil man vier Jahre zuvor ein gutes Ergebnis erzielt hat. Wir müssen jedes Mal liefern, um neu gewonnene Stimmen festzuhalten. Das sind eben die Bedingungen für eine Partei wie die SP, die eine begrenzte Anzahl Stimmen aus der Minderheit holen kann und deswegen auch Wähler aus der Mehrheitsbevölkerung gewinnen muss.

Andere Parteien können die Seite wählen – Links, Rechts oder Mitte – und in der Minderheit gibt es auch Mitglieder jeder politischen Couleur. Wie meistert die Schleswigsche Partei den Spagat?

Wir haben als grundlegendes Standbein die Arbeit für die Minderheit. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal, bei dem wir auch nicht Konkurrenz von den anderen Parteien spüren. Da haben wir einen inneren harten Kern in der Minderheit, die für uns stimmt.

Aber wir versuchen, uns auch über die Grenzland-Zusammenarbeit und mit gewissen europäischen Themen zu profilieren. Außerdem haben wir gerade unserem neuen Grundsatzprogramm den letzten Schliff gegeben und darin alle politischen Kernbereiche behandelt: Wirtschaft, Senioren, Familie, Umwelt, Verkehr und vieles mehr – unsere politischen Ziele stehen daher fest.

Schließlich setzen wir auf die breite Zusammenarbeit, obwohl die dabei erzielten Ergebnisse oft schwer dem Wähler als unser Erfolg zu vermitteln ist.

Wenn es keine Anträge wie zum Beispiel die Kulturhauptstadt Sonderburg gibt, dann ist es nicht so leicht, sich zu profilieren, als wenn man auf der einen oder anderen Seite steht. Wir sind ideologisch ungebunden und arbeiten pragmatisch. Der Automatismus vieler anderer Parteien ist bei uns ausgeschaltet.

Wir haben als Partei stattdessen die Aufgabe, für eine gewisse Vielfalt unter unseren Kandidaten zu sorgen, weil unsere Wähler oft personenbezogen ihr Kreuz setzen.

Unsere Kandidaten müssen geografisch verteilt sein, unterschiedliche politische Haltungen haben, wir müssen Männer und Frauen auf der Liste haben und Kandidaten verschiedenen Alters und mit unterschiedlichem Hintergrund.

Als Partei reden wir mit Links und Rechts, was auch für die Minderheit gilt, die im Folketing gleich gut mit allen Parteien redet. Dadurch erreichen wir auch gute Absprachen.

Ist die Schleswigsche Partei die Partei der deutschen Minderheit oder für alle in Nordschleswig? Foto: SP

Es hat in den vergangenen Jahren Kritik gegeben, weil die SP mehr auf Sønderjysk und mehr als Æ Partei auftritt, statt als Partei der Minderheit. Was ist die SP eigentlich?

Wir sind beides, aber dazu gehört auch ein gewisses Fingerspitzengefühl – sowohl in der Mehrheitsbevölkerung als auch in der Minderheit selbst. Es gibt immer noch Leute in Nordschleswig, die es damit schwer haben, dass wir uns als Regionalpartei und „synnejysk parti“ verkaufen – sie haben die Geschichte nicht ganz verdaut.

Natürlich sind wir auch Partei der deutschen Minderheit. Keine Frage. Es hat nie eine Situation gegeben, in der wir uns nicht für die Belange der Minderheit eingesetzt haben. Die Minderheit ist die Voraussetzung für unsere ganze Arbeit und sie muss gepflegt werden, sonst verschwindet die extra Dimension, die wir in uns haben.

Aber wir können uns eben nicht nur mit den Stimmen aus der Minderheit begnügen. Daher setzen wir auch auf beide Kulturen und darauf, Brücken zu bauen – viele kleine Brücken zwischen Deutschland und Dänemark, zwischen Schleswig-Holstein und Nordschleswig und innerhalb des Landesteils.

Das ergibt am meisten Sinn, denn wir sind hier verankert, und daher ist es wichtig, dass wir auch dänische Wähler ansprechen und pflegen: Wozu können sie uns gebrauchen, womit können wir helfen. Wir benötigen einen so große Kontaktfläche, wie überhaupt möglich, und das bedeutet, dass wir auch auf Dänisch kommunizieren müssen.

Wir bekommen für diese Vermittlerrolle Anerkennung – sowohl in Dänemark als auch südlich der Grenze und in Nordschleswig selbst, wo wir als Ressource gebraucht werden.

Gösta Toft war SP-Spitzenkandidat bei der Regionalwahl 2017. Bei der Wahl 2021 kandidiert die SP nicht für den Regionsrat in Süddänemark. Foto: Karin Riggelsen

Dass die SP bei den Kommunalwahlen kandidiert, steht außer Frage? Glaubst du, es kommt noch mal zu einer Kandidatur bei einer Regionalwahl? Für 2021 hat die SP entschieden, nicht zu kandidieren.

Die Regionalwahlen haben den Nachteil, dass 60 bis 70 Prozent der Region außerhalb unserer geografischen Orientierung in Nordschleswig ist. Das ist eine Herausforderung, denn der politische Einfluss und die Bedeutung der Region werden nicht geringer, so lange es die Regionen gibt: Gesundheitswesen, Wirtschaftsentwicklung, grenzüberschreitende Zusammenarbeit – da läuft vieles noch auf Krücken. Darauf müssen wir auch Einfluss nehmen, und das können wir auch, obwohl wir nicht kandidieren.

Wie im Folketing müssen wir den Dialog mit den Politikern der verschiedenen Parteien suchen. Das erfordert mehr Energie, als wenn wir einen festen Sitz im Regionsrat hätten und dafür Parteigelder bekämen – aber es ist nicht ausgeschlossen. Es ist sogar notwendig.

Ich denke aber nicht, dass wir uns 2021 darüber ärgern werden, dass wir nicht kandidiert haben. Wir bündeln jetzt die Kräfte für den Kommunalwahlkampf und hoffen dann, dass die Stimmenzahlen steigen und wir Verlorenes wieder aufholen können.

In der dänischen Minderheit diskutiert der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) darüber, ob man für den Bundestag kandidieren soll? SP for Folketing?

Das ist für mich überhaupt kein Thema. Wir schreiben jedes Mal einen netten Brief ans Innenministerium, in dem wir erklären, dass wir diesmal leider nicht kandidieren, aber weiterhin gern an unserem Kenn-Buchstaben S festhalten wollen.

Wir haben durch das Sekretariat der Minderheit einen hervorragenden Kontakt zu den Parteien im Folketing.

Außerdem ist es unrealistisch, dass wir genug Stimmen erhalten würden.

Stephan Kleinschmidt ging vor einigen Jahren seine eigenen Wege und kandidierte als SP-Politiker für Radikale Venstre? Müsste sich die SP dafür einsetzen, dass es Kandidaten der Minderheit in mehreren Parteien gibt?

Das sehe ich nicht als unsere Aufgabe. Wenn jemand aus der Minderheit ins Folketing möchte, dann helfen wir dem- oder derjenigen gern, sich politisch anzukleiden. Dadurch würden wir eine weitere Verbindung ins Folketing bekommen. Aushelfen ja, kandidieren nein.

Was sich nicht geändert hat, ist, dass wir uns seit 1920 für minderheitenbezogene Themen eingesetzt haben.

Carsten Leth Schmidt, SP-Vorsitzender

Wie haben sich die Themen der Schleswigschen Partei über die Jahre gewandelt?

Ich kann mir keine Partei vorstellen, in der der Wandel so heftig gewesen ist wie in der Schleswigschen Partei. Wenn man bedenkt, wo wir herkommen: Grenzrevision, nationaler Kampf, Bodenkampf, die große Ernüchterung durch die Wirtschaftskrise, die NS-Zeit bis hin zur Loyalitätserklärung, den Bonn-Kopenhagener Erklärungen in 1955 und dort, wo wir heute stehen.

Was sich nicht geändert hat, ist, dass wir uns seit 1920 für minderheitenbezogene Themen eingesetzt haben.

Nach dem Krieg ging es vor allem um das Überleben unserer Schulen und den Wiederaufbau unserer Kindergärten und der Organisationsstrukturen in der Minderheit bis unsere Rechte in den 70’er Jahren durch die Bonn-Kopenhagener gefestigt waren.

Bei der Kommunalreform 1970 entstanden größere Kommunen und das Sønderjyllands Amt. In Nordschleswig strebte die SP eine nachhaltige Politik an, setzte sich für einen gesunden Haushalt ein und legte Wert auf eine breite Zusammenarbeit.

Nach dem Beitritt in die Schengen-Zusammenarbeit und durch die Region Sønderjylland-Schleswig haben wir uns noch stärker für die europäische Dimension eingesetzt, und danach folgte die Entwicklung zur Regionalpartei sowie die Neuorientierung dänischen Wählern gegenüber.

Stephan Kleinschmidt
Mit Stephan Kleinschmidt an der Spitze hat die SP in Sonderburg Wahl für Wahl ihre Stimmenzahlen verdoppelt. Foto: Cornelius von Tiedemann

Es ist noch gut ein Jahr hin bis zur nächsten Kommunalwahl im November 2021. Wie sieht eine Kurz-Analyse der Situation in Apenrade, Tondern, Sonderburg und Hadersleben aus der Sicht des Vorsitzenden aus?

 

Grundsätzlich müssen wir gute Themen und die richtigen Leute haben – sonst bekommen wir nicht die extra Wähler, die wir brauchen.

In Apenrade haben wir zwei Stadtratsmitglieder und wollen diese gerne halten. Auch ein drittes Mandat ist drin, aber dafür brauchen wir Zündstoff für den Wahlkampf sowie das richtige Team. 2017 hatten wir auch Pech, dass einige Themen – zum Beispiel die Fjordskole-Debatte – uns nicht zuspielten und auch die Flüchtlingsanzeige der SP schien in Apenrade unsere Wähler am meisten geärgert zu haben.

Ich habe vor einem erneuten Bürgermeister-Wahlkampf in Apenrade keine Angst, denn wir haben eine deutliche Politik. Wir benötigen aber auch Themen und Visionen, die uns nach oben ziehen.

In Tondern hatte Jørgen Popp Petersen 2013 mit seinem Kampf gegen die Randstreifen in der Landwirtschaft ein Thema, mit dem die SP punkten konnte. Das Thema war 2017 ausgespielt, und wir mussten uns mit einem Mandat weniger begnügen. Es besteht Potenzial, dass wir etwas von dem verlorenen wieder zurückgewinnen, vielleicht auch dadurch, dass Venstre einen Bürgermeisterkandidaten hat, mit dem wir vielleicht besser auskommen. Durch einen Schulterschluss der Parteien käme auch die SP besser weg.

Ich denke, in Sonderburg wird es diesmal nicht so „leicht“. Die SP hat durch den Einsatz von Stephan Kleinschmidt das Wahlergebnis von Mal zu Mal verdoppeln können. Voriges Mal spielten alle Themen der SP zu, das Team hat hervorragende Arbeit geleistet, und Venstre hatte außerdem einen schwachen Kandidaten. Die fünf Mandate zu halten wäre bereits eine Meisterleistung.

In Hadersleben müssen wir einräumen, dass es schwierig ist, in der Mehrheitsgruppe frei zu agieren – besonders in einer Zeit, in der es eher darum gegangen ist, Dinge wegzusparen, als die Kommune weiterzuentwickeln. Hadersleben hat die Herausforderung, dass die Ausgaben unkontrollierbar gestiegen sind und dass wir in einer Hochkonjunktur ein Sparprogramm ausarbeiten mussten – das ist ein Skandal. Aber in einer Mehrheitsgruppe das an die Wähler zu kommunizieren ist schwierig. Wir müssen mehr eigene Akzente setzen, zum Beispiel, indem wir Aktivitäten und Räume für die Jugendlichen schaffen, die nicht den Vereinen angeschlossen sind, und stattdessen auf der Straße rumhängen. Ich hoffe natürlich, dass ich auch nach der Wahl noch im Stadtrat sitze.

Wenn wir uns noch ein wenig von der Parallelgesellschaft hin zur Botschafterrolle bewegen können, täte das der Minderheit und der Schleswigschen Partei gut

Carsten Leth Schmidt, SP-Vorsitzender

Wie siehst du die Rolle der Schleswigschen Partei der Zukunft?

Wir werden als Minderheit und Partei weiterhin eine Ressource für die dänische Gesellschaft sein. Das, was wir angestoßen haben, wollen wir weiterentwickeln, denn es kommt in hohem Maße auch der Mehrheit zugute.

Wir werden weiterhin die Anlaufstelle für die deutsch-dänischen Beziehungen sein sowie für deutsche Kultur und Sprache. Ich glaube, wenn wir uns noch ein wenig von der Parallelgesellschaft hin zur Botschafterrolle bewegen können, täte das der Minderheit und der Schleswigschen Partei gut.

Wir können dem Ganzen im deutsch-dänischen Grenzland auch noch mehr Dynamik geben. Das muss sich auch im Bewusstsein der Politiker auf beiden Seiten der Grenze festigen. Es geht allerdings nicht viel, ohne dass es angeschoben wird. Und das ist in der deutsch-dänischen Zusammenarbeit unsere Rolle.

Wir müssen nicht nur den Dänen klarmachen, wie wichtig Deutschland ist, sondern auch den Deutschen, dass Dänemark zwar klein, aber dennoch ein wichtiges Sprungbrett nach Skandinavien ist. Da muss in beiden Richtungen mehr Elan und mehr Herzblut investiert werden.

Und dann werden wir natürlich weiterhin das politische Sprachrohr der Minderheit sein, indem wir noch enger mit den Verbänden zusammenarbeiten. Wir haben als ersten Beweis hierfür gerade eine Broschüre mit dem Bund Deutscher Nordschleswiger und dem Deutschen Schul- und Sprachverein herausgegeben, um die Wichtigkeit der politischen Arbeit für unsere Institutionen und Kultur hervorzuheben

Der Artikel im Orginal beim Nordschleswiger:hier lesen